Andreas Kampa



Chaussee der Enthusiasten


Kritik der Physik

Die Schwerkraft

Ohne die Schwerkraft wäre sicherlich vieles leichter im Leben. Sie drückt alles nach unten, vor allem die Stimmung. Ihre Anwesenheit zieht einen so richtig runter. Jedes Mal. Das nervt. Niemand kann die Schwerkraft leiden. Alles macht sie zum Problem. Zum Beispiel: Mal eben schnell zum Mond fliegen. Oder morgens aufstehen. Oder was Zerbrechliches aus Versehen loslassen. Dann nämlich kommt es zum so genannten freien Fall, der in Wirklichkeit gar nicht frei ist, sondern stets nach unten geht. Nie nach rechts oder links, geschweige denn nach oben. Es gibt nichts unfreieres als den freien Fall. Der Name ist der reinste Hohn.

Die Lichtgeschwindigkeit

Dass das Licht überhaupt eine Geschwindigkeit hat, ist eine Zumutung, die zur Folge hat, dass man Sterne sehen kann, die gar nicht mehr existieren. Was soll das? Und wie soll man bitteschön jemals vernünftig durch den Weltraum reisen, wenn man ständig Ziele anpeilt, die schon bei der Abreise gar nicht mehr da waren? Alternativ könnte man natürlich einfach ins Schwarze hineinfahren, in der Hoffnung, dass sich in der Zwischenzeit mitten auf dem Weg ein Planetensystem bildet, mit vernünftiger Hotellerie zu fairen Preisen. Das macht keiner. Aber wenigstens ist nichts anderes schneller als das Licht. Man kann einen Schneeball sehen, bevor er einen trifft. So hat man zumindest die Chance, ihm auszuweichen.

Wärme

Es gibt prinzipiell zu viele Wärmegrade. Im Grunde ist nur ein schmaler Temperaturbereich akzeptabel. Die Großteil der Temperaturen ist unerträglich und nur eine üble Schikane der Natur. Angeblich steuert das Universum einem Wärmetod entgegen, bei dem es nur noch eine einzige Temperatur gibt. Wenn die bei konstanten 26 Grad läge, hätte man wenigstens etwas, worauf man sich freuen kann.

Energie

Die Energie hat viele Gesichter und bleibt sich doch immer gleich. Was man auch tut, die Energie ist nie wirklich weg, sie hat nur jemand anders. Die meiste Energie haben die Energiekonzerne. Die geben sie aber nur gegen Geld her und wollen obendrein auch immer mehr für dieselbe Menge; angeblich weil die Energie knapp wird. Physikalisch gesehen ist das falsch. Es gibt immer genauso viel Energie. Man kann sie weder verschwenden noch verbrauchen. Man kann sie nur nutzen.

Der Raum

Dass der Raum gekrümmt ist, glaube ich gerne. Ich merke es jedes Mal, wenn ich meinen Wohnraum tapeziere. Ursache dafür könnten Schwarze Löcher sein, die von Mäusen gelegentlich in meine Wände geknabbert werden. Angeblich ist auch der Wohnraum knapp, obwohl sich das Universum ständig ausdehnt. Da kann man mal sehen, wie wir nach Strich und Faden verarscht werden.

Die Zeit

Die Zeit vergeht viel zu schnell, allerdings rückt auch immer wieder neue nach. Es gibt alte Zeiten und neue Zeiten; außerdem große Zeiten, was bedeutet, dass Zeit eine Länge hat; rosige Zeiten, was bedeutet, dass Zeit eine Farbe hat; schwere Zeiten, was bedeutet, dass Zeit ein Gewicht hat; schnelle Zeiten, was bedeutet, dass Zeit eine Geschwindigkeit hat. Man kann sie haben oder auch nicht, man kann sie sich nehmen und jemandem schenken. Mann kann sie sich sogar am Kiosk kaufen.

Das Trägheitsmoment

Es gibt Momente, da bin ich ausgesprochen träge. Die Physik sagt: Das geht jedem Körper so, ich brauche mich also nicht zu schämen. Deshalb ist mir auch kein Naturgesetz so sympathisch wie das Trägheitsgesetz. Es besagt, dass jeder sein eigenes Tempo hat, solange man ihn in Ruhe lässt. Hier ist die Physik schon wesentlich weiter als die Politik. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der das Trägheitsgesetz in die Verfassung aufgenommen wird.