Andreas Kampa



Chaussee der Enthusiasten


Tagebuch eines Bestattungsunternehmers



1. Eintrag: 2620 v.Chr.

Ein Traum wird wahr. Heute von unserem neuen Pharao zum königlich Hofbestatter ernannt worden. Wenn das mein Vater noch erlebt hätte! Er wäre stolz auf mich gwesen. Ich erinnere mich noch, wie er einmal zu mir sagte: „Mein Junge, mach dir keine Sorgen! Gestorben wird immer.“ Kurze Zeit später ist er selbst gestorben. Er hat noch immer recht behalten, der Alte. Jetzt habe ich der Firma zu neuem Glanz verholfen. Man sieht daran, dass der Tod auch seine gute Seiten hat. Wer wüsste das besser als wir Bestatter? Das Leben geht nämlich auch nach dem Tod weiter, nur eben mit anderen Personen. Ich denke, das ist auch der Grund, warum es Gräber gibt. Der Grabstein soll uns daran erinnern, dass es jemanden gibt, der den Grabstein dorthin gesetzt hat, der also weiterlebt, während jemand anders gestorben ist. Deshalb steht kein Beruf so sehr für das Leben wie der des Bestatters, denn solange es Menschen gibt, wird es Bestatter geben. Das ist gewiss. Der letzte Mensch wird ein Bestatter sein, der den vorletzten Menschen begräbt.

2. Eintrag: 2619 v.Chr.
Die Gerüchte, dass unser Pharao gesundheitlich nicht auf der Höhe sei, scheinen sich zu bestätigen. Heute den Auftrag aus der königlichen Kanzlei erhalten, dem Pharao einen Entwurf für sein Grab vorzulegen. Ich sympathisiere mit einer 2 Meter großen Stele aus Marmor, schön verziert, mit der Aufschrift: „Plötzlich und unerwartet schied aus unserem Leben: Cheops – König von Ägypten, 2620 v. Chr. – ...“  Todesdatum kann man ja noch offen lassen. Ich hoffe, er findet meinen Vorschlag nicht zu protzig.

3. Eintrag: 2619 v.Chr.
Pharao zeigte sich wenig begeistert von meiner Stelen-Idee. Die Verzierungen würden ihm nicht gefallen, die Aufschrift sei überflüssig, das stünde sowieso alles in den Geschichtsbüchern, und Stelen seien doch irgendwie ein alter Hut. Er wolle mal etwas Neues. Was, konnte er allerdings nicht genau sagen. Ich solle mal einen Vorschlag machen. Einen Monat hätte ich Zeit.

4. Eintrag: 2619 v. Chr.
Mit meinem Vorschlag, ein riesiges Holzkreuz auf das Grab zu setzen, bin ich wohl meiner Zeit zu weit voraus. Pharao konnte sich jedenfalls nicht mit der Idee anfreunden. Immerhin gefiel ihm die geometrische Schlichtheit. In dieser Richtung solle ich mal weiterdenken. Und größer müsse es sein. Viel größer. Wie schnell könne ein Sandsturm alles überschütten, wenn es zu klein sei. Nun gut, der König ist Kunde. Ich werde sehen, was sich machen lässt.

5. Eintrag: 2618 v. Chr.
Langsam wird die Zeit knapp. Habe mich mal erkundigt, an welcher Krankheit der Pharao eigentlich leidet und wie viel Zeit mir noch bleibt. Ein Bekannter des königlichen Leibarztes erzählte mir hinter vorgehaltener Hand, es handle sich bei der königlichen Krankheit um chronische Hypochondrie. Sie sei unheilbar und ende unweigerlich mit dem Tod. Ich werde mich also beeilen müssen.

6. Eintrag: 2618 v. Chr.
Mein Vorschlag, das Grab als riesigen Würfel zu gestalten, hatte dem Pharao zu viele Ecken und Kanten. Ich fand das zwar nicht, aber der Kunde ist König. Leider. Sicherheitshalber hatte ich diesmal noch einen zweiten Vorschlag vorbereitet, doch der Pharao hatte plötzlich eine eigene Idee. Das schlimmste, was einem passieren kann. Wie wär’s denn mit einer Kugel, sagt er. Das sei doch eine runde Sache: ein Symbol für die Sonne, den Mond und das ganze Weltall. Und sein Leichnam genau in der Mitte. So etwas hätte noch nie jemand gebaut. Eine Kugel mitten in der Wüste, 100 Meter hoch, 200, 300. Ein Weltwunder, das man noch in 5000 Jahren würde bewundern können: Die Kugel von Gizeh. Die Cheops-Kugel. Rund und unverwüstlich. Das wolle er haben, nichts anderes. Auch mein Einwand, dass das technisch schwer zu machen sei, konnte ihn nicht von seiner Wahnsinnsidee abbringen. Ich versuchte die Kostenfrage ins Spiel zu bringen. Nichts zu machen. Das war ihm egal. Geld spiele keine Rolle, sagte er nur. Zu guter Letzt gab ich –  auf seine hypochondrisches Leiden anspielend – die Zeitfrage zu bedenken. So eine Riesenkugel zu bauen, dauere Jahre, Jahre, ich betonte immer wieder: Jahre bis zur Fertigstellung. Wenn nicht Jahrzehnte. Mehrere. Vielleicht sogar ganze Menschenleben! Deutlicher konnte ich’s nun wirklich nicht formulieren. Der Pharao gab sich unbeeindruckt. Geben Sie mir die Kugel, waren seine letzten Worte, dann entließ er mich.

7. Eintrag: 2617 v. Chr.
Ich weiß nicht, was ich machen soll. Die Kugel-Idee ist undurchführbar. Ich habe es hin und her überlegt, Experten befragt aus aller Herren Länder. Alle sagen dasselbe: Nicht machbar, unmöglich. Wie sage ich es nur meinem Pharao?

8. Eintrag: 2617 v. Chr.
Wagen Sie das Unmögliche, hat er gesagt. Nichts ist unmöglich! Er verlange ja nicht, dass ich zum Mond fliege oder einen neuen Kontinent entdecke. Er wolle nur diese verdammte Kugel in der Wüste. Die Kugel von Gizeh. Aber wozu?, rief ich verzweifelt. Wozu soll das gut sein? Scheißegal, wozu, winkte er nur ab. Darüber könne sich ja die Nachwelt den Kopf zerbrechen. Irgendwelche Spinner würden schon herausfinden, wozu. Man müsse nur die Fantasie der Leute anregen. Die würden schon einen Sinn darin finden.

9. Eintrag: 2617 v. Chr.
Es ist unmöglich. Nicht machbar. Ich muss es irgendwie schaffen, ihn auf eine Halbkugel herunterzuhandeln. Eine Halbkugel könnte eventuell klappen.

10. Eintrag: 2616 v. Chr.
Baubeginn der Kugel. Durchmesser 150 Meter. Ein Kompromiss. 10 Jahre Zeit. Wenn’s nicht klappt, wird es mein Grab, sagt er, sonst seins. Einer überlebt immer. Alte Bestatter-Weisheit.

11. Eintrag: 2606 v. Chr.
Unfassbar. Die Kugel steht. Morgen kommt das Gerüst ab. Die Stunde der Wahrheit. Ich kann es immer noch nicht glauben.

12. Eintrag: 2606 v. Chr. (einen Tag später)
Die Kugel ist in den Nil gerollt und zerschellt. Der Pharao will sich jetzt meine zweite Idee mal anschauen.